Der Markt für E-Zigaretten und E-Liquids ist längst kein Nischenphänomen mehr. Millionen Menschen in Europa nutzen Verdampfer – mit Produkten, die technisch komplex, chemisch anspruchsvoll und regulatorisch vergleichsweise jung sind. Während die EU mit der Tabakproduktrichtlinie 2014/40/EU (TPD2) einen Rahmen geschaffen hat, bleibt die Frage offen, ob dieser tatsächlich ausreicht, um Verbraucher vor vermeidbaren gesundheitlichen Risiken zu schützen.
Gleichzeitig haben sich spezifische Produktformen etabliert, die direkt aus dieser Regulierung hervorgegangen sind – etwa hochdosierte Nikotin Shots, also nikotinhaltige 10-ml-Fläschchen, die mit nikotinfreien Basisliquids gemischt werden. Sie sind eine direkte Folge der TPD-Begrenzung von Flaschengröße und Nikotinstärke und damit ein gutes Beispiel dafür, wie Regulierung den Markt formt – ohne zwangsläufig alle Sicherheitsfragen abschließend zu klären.
Chemische Grundlagen: Was in E-Liquids tatsächlich steckt
E-Liquids bestehen im Kern aus vier Komponenten: Propylenglykol (PG), pflanzlichem Glycerin (VG), Aromastoffen und – optional – Nikotin. Diese scheinbar überschaubare Zusammensetzung wird häufig als Argument für „Überschaubarkeit“ und „Kontrollierbarkeit“ genutzt. Tatsächlich beginnt die Komplexität aber genau an diesem Punkt.
Basisstoffe: PG und VG als Träger – mit Grenzen
PG und VG sind als Zusatzstoffe aus der Lebensmittel- und Pharmatechnologie bekannt. Beide Stoffe gelten bei oraler Aufnahme in den üblichen Dosierungen als vergleichsweise gut untersucht. Problematisch ist jedoch, dass die wissenschaftliche Evidenz zur langfristigen Inhalation, insbesondere bei hoher Expositionsdauer, deutlich dünner ist als für klassische Lebensmittelanwendungen. Einige Studien verweisen auf mögliche Reizungen der Atemwege, insbesondere bei empfindlichen Personen oder vorbestehenden Lungenerkrankungen.
Entscheidend ist zudem der Reinheitsgrad: Für E-Liquids werden in der Regel „pharmagrade“ Qualitäten verwendet. Werden hingegen günstigere Qualitäten eingesetzt, können Spuren von Verunreinigungen oder Metallen auftreten, die beim Erhitzen in Aerosole übergehen und inhaliert werden. In Untersuchungen wurden in manchen Liquids tatsächlich Spuren verschiedener Metalle nachgewiesen – teils aus Rohstoffen, teils aus Kontakt mit Verdampferkomponenten.
Aromastoffe: Der größte Unsicherheitsfaktor
Aromen sind der eigentliche Differenzierungsfaktor des Marktes – und zugleich die wissenschaftlich am schlechtesten abgesicherte Komponente. Viele Aromastoffe sind als „GRAS“ (generally recognised as safe) zum Verzehr zugelassen, doch diese Bewertung bezieht sich auf die Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt, nicht auf die Inhalation fein verteilter Aerosole in die Lunge. Mehrere systematische Übersichten kommen zu dem Schluss, dass es zwar wachsende Hinweise auf potenziell schädliche Effekte bestimmter Aromakomponenten gibt, die Datenlage insgesamt aber unvollständig ist.
Hinzu kommt ein dynamischer Markt: Hersteller bringen ständig neue Geschmacksrichtungen und Mischungen auf den Markt. Für viele dieser Kombinationen liegen keine spezifischen Inhalationstoxikologie-Daten vor. Deutsche Behörden wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weisen zudem aktuell auf unzureichend untersuchte Zusatzstoffe hin – etwa Kühlmittel („Coolants“) in Liquids, für die Hinweise auf mögliche systemische Effekte existieren, während die inhalative Wirkung noch kaum erforscht ist.
Nikotin und Nikotin Shots
Nikotin selbst ist ein pharmakologisch hochaktiver Stoff mit gut beschriebener Suchtwirkung und kardiovaskulären Effekten. Die TPD2 begrenzt die Nikotinkonzentration in E-Liquids für Endverbraucher auf maximal 20 mg/ml und die Flaschengröße auf 10 ml, was unmittelbar zur Etablierung der sogenannten Nikotin Shots geführt hat: hochdosierte 10-ml-Fläschchen ohne Aroma, die mit größeren Flaschen nikotinfreien Liquids („Shortfills“) gemischt werden.
Gerade beim Umgang mit Nikotin Shots spielt praktische Produktsicherheit eine Rolle: unzureichende Kennzeichnung, fehlende Handschuhe oder der Einsatz in Haushalten mit Kindern können das Risiko für akute Vergiftungen erhöhen, auch wenn die Regulatorik mit kindergesicherten Verschlüssen und Warnhinweisen gegensteuert.
Der Rechtsrahmen: TPD2, nationale Umsetzung und Grauzonen
Die Tabakproduktrichtlinie 2014/40/EU definiert den europaweiten Rahmen für elektronische Zigaretten und nikotinhaltige Nachfüllbehälter. Kernpunkte sind:
- maximal 10 ml pro Nachfüllbehälter für nikotinhaltige Liquids
- maximal 2 ml Füllvolumen für Tanks von E-Zigaretten
- maximale Nikotinkonzentration von 20 mg/ml
- verpflichtende Warnhinweise und detaillierte Inhaltsangaben
- ein Meldeverfahren über das EU Common Entry Gate (EU-CEG), das vor Markteinführung umfangreiche Produktinformationen verlangt.
Meldepflicht: Theorie und Praxis
Hersteller und Importeure müssen neue oder wesentlich geänderte Produkte mindestens sechs Monate vor dem geplanten Inverkehrbringen bei den zuständigen Behörden melden. Über EU-CEG werden unter anderem Zusammensetzung, Emissionen, Nikotindosis, technische Beschreibung und Informationen zur Herstellung übermittelt.
In der Praxis bildet dieses System allerdings eher eine formale Hürde als eine systematische Sicherheitsprüfung: Die Behörden haben begrenzte Ressourcen, um die eingereichten Daten tiefgehend zu bewerten. Es handelt sich weitgehend um ein notifikationsbasiertes System – die Verantwortung für die Richtigkeit der Angaben liegt primär bei den Unternehmen. Eine verpflichtende, unabhängige Vorkontrolle aller Produkte existiert nicht.
Deutschland: nationale Verschärfungen und Erweiterungen
Deutschland hat die TPD2 im Tabakerzeugnisgesetz und der Tabakerzeugnisverordnung umgesetzt. Bemerkenswert ist, dass inzwischen auch nikotinfreie E-Zigaretten und Nachfüllbehälter in Deutschland einer Notifizierungspflicht unterliegen – eine Reaktion auf die Marktpraktik, nikotinfreie Shortfills mit separaten Nikotin Shots zu kombinieren.
Damit soll verhindert werden, dass nikotinfreie Produkte als regulatorische „Hintertür“ genutzt werden, obwohl sie faktisch Teil eines nikotinhaltigen Systems sind. Aus Verbraucherschutzsicht ist diese Ausweitung nachvollziehbar, gleichzeitig erhöht sie den administrativen Aufwand auch für solche Hersteller, die tatsächlich nur nikotinfreie Produkte anbieten.
Transparenz und Marktaufsicht: Wo der Verbraucherschutz an Grenzen stößt
Auf dem Papier ist der Regulierungsrahmen relativ dicht. In der Realität existieren jedoch mehrere Ebenen, auf denen Transparenz und Kontrolle an ihre Grenzen stoßen.
Deklaration vs. tatsächliche Zusammensetzung
Verschiedene unabhängige Untersuchungen haben gezeigt, dass sich deklarierte und tatsächlich gemessene Inhaltsstoffe einzelner Liquids teilweise deutlich unterscheiden können – etwa bei Aromastoffen oder Spuren von Metallen.
Das ist nicht zwingend Ausdruck bewusster Täuschung; bereits Schwankungen in Rohstoffchargen und unzureichend validierte Herstellungsprozesse können zu Abweichungen führen. Für Verbraucher bleibt diese Unsicherheit jedoch unsichtbar – sie sind auf die Korrektheit des Etiketts angewiesen.
Onlinehandel und Importprodukte
Noch schwieriger wird die Lage im grenzüberschreitenden Versandhandel. Produkte aus Drittländern unterliegen nicht immer denselben Sicherheitsstandards, Kennzeichnungen sind mitunter unvollständig oder nur in Fremdsprachen vorhanden. Marktaufsichtsbehörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, die Vielzahl kleiner Sendungen systematisch zu kontrollieren.
Für Verbraucher ist zudem kaum erkennbar, welche Produkte tatsächlich ordnungsgemäß notifiziert wurden und welche nicht – ein strukturelles Transparenzdefizit, das das Vertrauen in die Regulierung untergraben kann.
Aromastoffe, Zusatzstoffe und neue Trends: Forschungsbedarf statt Entwarnung
Die wissenschaftliche Debatte zur Sicherheit von Aromen und Zusatzstoffen steht – gemessen an der Marktdynamik – noch am Anfang.
Mehrere Reviews kommen zu dem Ergebnis, dass bestimmte Flavorchemikalien in Zell- und Tiermodellen entzündliche Reaktionen, oxidativen Stress oder Zytotoxizität auslösen können. Besonders im Fokus stehen süße, dessertartige oder stark aromatisierte Liquids, die oft komplexe Mischungen verschiedener Stoffe enthalten.
Aktuelle Stellungnahmen deutscher Behörden zu Kühlmitteln in E-Liquids betonen, dass für diese Substanzen teilweise Hinweise auf systemische Effekte (etwa an Leber und Niere) vorliegen, während inhalationstoxikologische Daten fehlen. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass bei regelmäßiger Nutzung ein Gesundheitsrisiko anzunehmen ist – eine klare Absage an jede vorschnelle Entwarnung.
Aus Expertensicht ist daher weniger die Frage entscheidend, ob einzelne Aromastoffe „ungefährlich“ sind, sondern ob das Zusammenspiel mehrerer Komponenten über Jahre hinweg hinreichend bewertet ist. Stand heute ist das nicht der Fall.
Herausforderungen für Hersteller: Zwischen Compliance, Kosten und Innovation
Für seriöse Hersteller bedeutet der bestehende Rechtsrahmen einen erheblichen Aufwand – und eröffnet zugleich Spielräume, die verantwortungsvoll genutzt werden müssen.
Qualitätssicherung in komplexen Lieferketten
Viele Komponenten stammen aus globalen Lieferketten. PG, VG, Aromenkonzentrate und Nikotinlösungen werden teils in unterschiedlichen Regionen produziert und erst beim Liquidhersteller zusammengeführt. Jede Schnittstelle ist ein potenzieller Schwachpunkt: Rohstoffqualität, Transportbedingungen, Chargendokumentation und Laboranalytik müssen konsequent überwacht werden.
Große Hersteller verfügen häufig über eigene Labore oder arbeiten mit akkreditierten Prüflaboren zusammen; kleinere Anbieter sind dagegen stärker auf externe Dienstleister angewiesen – mit entsprechendem Kostendruck.
Administrative Last und Marktkonzentration
Notifizierung, laufende Dokumentation, Aktualisierung von Produktinformationen und Aufrechterhaltung der Konformität kosten Zeit und Geld. Für kleine und mittlere Unternehmen kann dies schnell zur Existenzfrage werden. Ein nicht intendierter Effekt kann eine zunehmende Marktkonzentration sein, bei der nur kapitalstarke Anbieter die Anforderungen langfristig erfüllen – mit allen Konsequenzen für Vielfalt und Wettbewerb.
Innovation im regulatorischen Graubereich
Neue Nikotinformen, alternative Trägersysteme oder technisch veränderte Geräte stoßen regelmäßig an die Grenzen bestehender Definitionen. Produkte, die formal nicht unter die TPD2 fallen, können faktisch ähnliche Risiken bergen wie regulierte Liquids. Solange der Gesetzgeber nachjustiert, entstehen Zwischenphasen, in denen Regulierungslücken entstehen – ein Muster, das sich in der EU-Debatte um neuartige Nikotinprodukte deutlich zeigt.
Blick nach vorn: Die Debatte um TPD3
Die nächste Überarbeitung der Tabakproduktrichtlinie („TPD3“) wird seit einigen Jahren vorbereitet, ist aber Stand Ende 2025 noch nicht in Kraft. Verschiedene politische Signale deuten darauf hin, dass E-Zigaretten und E-Liquids ein zentraler Schwerpunkt sein werden – insbesondere in den Bereichen Aromen, Werbung und möglicherweise Nikotinobergrenzen.
Mehrere Szenarien werden diskutiert:
- eine deutlich strengere Regulierung „attraktiver“ Aromen, insbesondere solcher, die gezielt junge Konsumenten ansprechen
- eine Ausweitung der Notifizierungs- und Prüfpflichten auf weitere Produktkategorien
- strengere Anforderungen an Kennzeichnung, etwa in Bezug auf Allergene und Aromaklassen
Wie weit diese Vorschläge letztlich umgesetzt werden, ist offen. Klar ist allerdings: Die nächste Richtliniengeneration wird den Rahmen für E-Liquids in Europa erneut grundlegend verändern.
Fazit: Ein Regulierungsrahmen im Fluss – und viele offene Fragen
Die Regulierung von E-Liquids in Deutschland und der EU ist für ein vergleichsweise junges Produktfeld bereits erstaunlich ausgebaut. Es existieren klare Grenzwerte für Nikotin, Vorgaben für Behältnisgrößen, Meldepflichten, Kennzeichnungsvorschriften und – zumindest in Teilen – Vorgaben zu verbotenen Inhaltsstoffen.
Trotzdem bleibt die Bilanz ambivalent:
- Die toxikologische Bewertung vieler Aromakomponenten ist unvollständig.
- Marktaufsicht und Vollzug können mit der Dynamik des globalen Handels nur begrenzt Schritt halten.
- Notifizierungsverfahren sichern Transparenz auf dem Papier, ersetzen aber keine systematische Vorkontrolle.
- Produktinnovationen und regulatorische Reaktion verlaufen zeitlich versetzt – mit absehbaren Übergangsrisiken.
Aus fachlicher Sicht ist daher weder Alarmismus noch Verharmlosung angemessen. E-Liquids sind technisch komplexe Produkte, deren Risiken im Vergleich zu konventionellen Tabakzigaretten differenziert betrachtet werden müssen, deren Sicherheitsprofil aber keineswegs als abschließend geklärt gelten kann.
Eine Weiterentwicklung der Regulierung, die stärker auf robuste inhalationstoxikologische Daten, transparente Lieferketten, nachvollziehbare Qualitätsstandards und praktikable Marktaufsicht setzt, ist überfällig. Solange dies nicht der Fall ist, bleibt ein Rest an Unsicherheit – den weder Etiketten noch formale Meldesysteme vollständig auflösen können.